Jugendliche Tatkraft hilft Brücken bauen - Urenkel der Kriegsgeneration finden Frieden beim Camp in Weißrussland

Eine kleine Bucht mit Sandstrand öffnet den Blick zum idyllisch gelegenen See. Nicht weit davon stehen Tische und Bänke. Dort sitzen Jugendliche und schälen Kartoffeln. Aus einem Zelt daneben ist Musik und Gesang zu hören. Und hinter ein paar Bäumen hacken Jungen Holz für ein Lagerfeuer. Gesprächsfetzen: mal auf Deutsch; mal auf Russisch; mal auf Englisch. Ein Camp wie ein typisches Jugendlager?

Diese friedliche Szene war zu beobachten im Sommer 2005 in Weißrussland am See Selez, etwa 30 Kilometer von der Kreisstadt Beresa entfernt. Hier fand vom 17. Juli bis 4. August ein bilaterales Camp mit Jugendlichen aus Deutschland und Belarus statt, initiiert vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., Landesverband Berlin-Brandenburg. Aus Deutschland beteiligten sich daran Helfer des Technischen Hilfswerkes (THW) der Ortsverbände Berlin-Reinickendorf und Berlin-Tempelhof-Schöneberg gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) Berlin-Reinickendorf. Unter dem Motto: „Arbeit für den Frieden“ kamen 19 deutsche THW-Jugendliche und 21 weißrussische Teenager zusammen, um gemeinsam Kriegsgräber zu pflegen und rund drei Wochen Ferien zu genießen sowie gegenseitiges Verständnis zu finden.

Die deutschen Teilnehmer mussten allerdings bei der Einreise nach Belarus erhebliche Schwierigkeiten bewältigen. Sechs Spezialfahrzeuge, beladen mit umfangreichem Werkzeug und Gerätschaften, gehörten nicht zum Routine-Betrieb der weißrussischen Zollstation in Brest. So gestaltete sich die Abwicklung äußerst langwierig und stellte die Geduld der Fahrer und Begleitpersonen auf eine harte Probe. Nach 22 Stunden Aufenthalt an der Grenze konnte der Konvoi mit den Spezialfahrzeugen dann endlich in Weißrussland einreisen. Der Bus mit den Jugendlichen wurde glücklicher Weise nicht so lange festgehalten.

Die Hürden der Bürokratie waren damit jedoch keineswegs überwunden. Fünf Fahrzeuge wurden noch drei Tage im Zollhof der Kreisstadt Beresa festgehalten. Das bedeute Aufschub und teilweise auch Streichen geplanter Arbeiten auf den Kriegsgräber-Friedhöfen der Umgebung. Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten gelang es, ein Camp für 66 Personen aufzubauen und einzurichten: Sechs Wohnzelte, Küchen- und Diskozelt sowie Waschgelegenheiten. Die Zoll-Probleme, die die Betreuer fast an den Rand der Verzweiflung trieben, konnten freilich vor den Jugendlichen weitgehend verborgen gehalten werden.

Der Einzug der weißrussischen Jugendlichen einen Tag nach der Ankunft stimmte die ein wenig deprimierten Betreuer hoffnungsvoll. Die Neugierde der Teenager und ihre Lebensfreude brachten neue Motivation in das gesamte Camp. Nach den ersten Verständigungsversuchen mit Händen und Füßen – später auf Englisch - stellten die Jugendlichen aus Deutschland und Weißrussland fest, dass sie viel mehr verbindet als vorher angenommen. Positiv ist zudem zu bemerken, wie sehr sich die Jungen und Mädchen für die jeweils andere Kultur interessierten und schon bald erste Vokabeln der anderen Muttersprache gelernt hatten.

Die erste Schüchternheit wurde endgültig überwunden, als es die Lagerleitung trotz eingeschränktem Einsatz an Arbeitsgeräten schaffte, den ersten Arbeitstag auf einem Friedhof des 1. Weltkrieges zu ermöglichen. Mit der Kettensäge wurden abgestorbene Bäume gefällt. Mit Arbeitskleidung und Schutzhandschuhen ausgestattet hatten die Jugendlichen die Aufgabe, Bäume zu zerlegen und Äste zu zerkleinern. Sie packten gemeinsam an und erklärten sich gegenseitig, was zu tun war. Dabei lachten sie gemeinsam viel und posierten für Erinnerungsfotos. Es ließ sich bereits erahnen, dass aus dieser Begegnung einmal mehr werden könnte als bloße Zusammenarbeit: Freundschaft.

Schon die positiven Erfahrungen dieses ersten „Arbeitstages“ zeigten, dass sich die monatelangen Vorbereitungen und gemeisterten Schwierigkeiten gelohnt hatten. „Eines unserer Hauptziele ist es, Jugendliche aus Deutschland und Weißrussland zusammenzuführen und Vorurteile abzubauen“, erläutert Lagerleiter Oliver Schultz. Er ist ein Hauptinitiator und –organisator des Projektes sowie gleichzeitig Jugendbetreuer des THW-Ortsverbandes Berlin-Tempelhof/Schöneberg und Mitglied des Volksbundes.

Nachdem die größten Probleme – die Zollformalitäten sowie die Versorgung mit ausreichend Lebensmitteln und Trinkwasser – gelöst waren, folgten im Camp und bei der Arbeit auf zwei weiteren Friedhöfen harmonische Tage. Die Jugendlichen hatten darüber hinaus die Möglichkeit, sich je nach der persönlichen Vorliebe zu entfalten. Die Mädchen bevorzugten Kerzen ziehen und T-Shirts bemalen. Den meisten Jungen lag eher Paddeln mit dem Schlauchboot auf dem See oder Federball spielen. Viel Spaß hatten alle auch an Geschicklichkeitsturnieren der „Lager-Olympiade“. Die beiden weißrussischen Jugendlichen Edik und Maxim ließen darüber hinaus keine Gelegenheit aus, für die Campteilnehmer Musik zu machen. Tages-Ausflüge zum Naturschutzgebiet „Belavezskaja Pusca“ und Brest mit Festung rundeten das Freizeit-Angebot ab.

Die beschauliche Ruhe unterbrachen Vorbereitungen zum Besuch des Deutschen Botschafters für Weißrussland, Dr. Martin Hecker. Mit feierlichen Deklarationen des Landrates für den Kreis Beresa und des Diplomaten begann die Visite.

Nach der Begrüßung in der Kreisverwaltung übergab der Beauftragte des Volksbundes für die Russische Föderation, Belarus und die Ukraine, Herr Wolfgang Strojek, in Anwesenheit des Botschafters, weiterer Mitarbeiter der deutschen Botschaft, des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge und zahlreicher Vertreter der balarussischen Administration ein neues Krankentransportfahrzeug für das Krankenhaus Beresa. Danach legten Jugendliche aus dem Camp Kränze am Mahnmal für die Gefallenen nieder.

Für alle Beteiligten am Lager war die Visite des Landrates zusammen mit dem deutschen Botschafter ein Höhepunkt der knapp dreiwöchigen bilateralen Begegnung. In diversen Ansprachen der geladenen Gäste einschließlich Veteranen wurde die inzwischen bestehende gegenseitige Freundschaft gewürdigt. An dem Empfang nahm auch Anita Wedel als Jugendreferentin der Kriegsgräberfürsorge Berlin-Brandenburg teil. Sie hatte im Hintergrund an der Beseitigung so mancher Hindernisse der deutschen Teilnehmer mitgewirkt.

Am Ende des Tages war klar, dass ein weiterer Schritt auf dem langen Weg zu einem Kriegsgräber-Abkommen zwischen beiden Ländern geschafft war.

Aufgrund der Erfahrungen mit der Einreise fanden für die Rückfahrt erste Kontakte zu Grenzbeamten bereits eine Woche vor dem geplanten Termin statt. Im Vergleich zur vorherigen Abfertigung erfolgten die Ausreise-Formalitäten nahezu problemlos. Zuvor gab es allerdings eine fetzige Abschieds-Disko und am darauf folgenden Vormittag ein feierliches „Do svidanija“ mit Austausch von Geschenken und Dankworten. Nun mussten sich Freunde und Liebende trennen. Manche lagen sich lange in den Armen. Tränen flossen...

Die gemeinsam verbrachte Zeit verdeutlichte allen deutschen Teilnehmern, dass es in Weißrussland viele liebenswerte Menschen gibt. Die Entfernung gestaltet jedoch regelmäßigen Kontakt schwierig. Es bleibt in jedem Fall das gute Gefühl, an der weiteren Annäherung zwischen Deutschland und Belarus mitgewirkt zu haben.

17.07.2005 - 04.08.2005


Fotos: Horst Engelhardt (Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit)